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Milliarden & „Schuldig“: Die Berliner Indie-Rock-Poeten sind zurück

Milliarden & „Schuldig“: Die Berliner Indie-Rock-Poeten sind zurück

Milliarden entfachen mit ihrem dritten Album „Schuldig“ eine Sehnsucht, wie es nur die Berliner können. Zwischen Springen, Schwunkeln und Schmunzeln bringen sie die nackten Wahrheiten im schönsten Licht zum Glänzen.

Deutschsprachige Musik und ich, wir sind gerade auf dem Kriegsfuß. Das wieso kann ich mir seit Monaten nicht beantworten. Wenn allerdings Milliarden mit einem neuen Album um die Ecke kommen und euphorisch damit winken, vergesse ich das kurz. Mit ihrem dritten Album „Schuldig“ macht die Band um Ben und Johannes alles selbst. Das erste Album auf dem eigenen Label „Zuckerplatte“, frei von auswärtigen Einflüssen. Das bedeutet aber keine 180 Grad-Wandlung, sondern die vollkommene Zelebrierung der Milliarden-DNA, mit der sich die Berliner in den vergangenen Jahren einen Platz in unseren Herzen verschafft haben.

Auch wenn es ihr durchgängiges, so cleveres, manchmal ausfallend werdendes Storytelling ist, so sind es die Lieder über Liebe, die mich besonders aufmerksam zuhören und kurz darauf unweigerlich fühlen lassen. Das konnten sie schon immer gut, die Milliarden-Männer. Unverfroren, Hals-über-Kopf-Akrobatik, ohne halsabschneiderisch zu sein.

Und da ist wieder das Gefühl / Und dem lauf‘ ich hinterher / Wenn ich nur wüsste, wer du bist / Wär’s vielleicht nicht ganz so schwer / Stell‘ mir vor, wie schön das wär“ wird in „Wenn ich an dich denke“ gesungen und man, ich fühls. Wie lange nicht mehr. Deutsche Romantik, du kannst es noch!

Ich schieß dir in dein Herz“ ist nur halb so wild, dafür wird hier Tacheles gesprochen. Liebe ohne Happy-End, uff. Gut, dass der Song nicht vor ein paar Jahren rausgekommen ist, ich hätte 24/7 dazu geweint und gehofft, dass die damit verbundene Person den Wink mit dem Instagram Story-Zaunpfahl verstanden hätte. Da kommt der Abschlusstitel „Trenn dich“ wie gerufen, nicht? Doch hier findet sich kein Appell, die Herzen anderer zu brechen – sondern sich von eigenen Marotten zu verabschieden. Und wenn das nicht die Essenz von Erwachsenwerden, was ist es dann?

Schuldig“ klingt sehnsüchtig. Die treibenden 00er-Indie-Rock-Gitarren vermischen sich mit den Gedanken an einen Sommer, der so weit entfernt scheint. Es ist Ende Juni, ein warmer Sommertag im Jahr 2018, als der Stausee Oberrabenstein in der Sonne glitzert. Milliarden spielen vor einem großen Publikum auf dem Kosmonaut Festival, man liegt sich in den Armen, tanzt auf Schultern und bedeckt die Menschen um sich herum mit schillerndem Konfetti. Eine Erinnerung, die sich noch so vertraut und doch so ungreifbar anfühlt.

Mit ihrem Releasekonzert zum neuen Album, live und in Farbe per Livestream auf club100-bremen.de lassen sie meine Erinnerungen wieder ganz konkret werden. Diesmal nicht unter blauem Himmel, sondern in einem dunklen Klub, so intim und nahbar, wie es die viel zu hohe Kosmonaut-Bühne niemals zugelassen hätte. Das hier ist greifbar, nicht überdacht und in all seiner Essenz Milliarden. Mit spontanen Ansagen, qualmenden Zigaretten und Akustiksongs im Klavier. Hier steckt Hoffnung drin. Dass es irgendwann wieder eine Festivalwiese sein wird, man die Menschen um sich herum nicht kennt und aus vollem Herzen lebt. Dieses Gefühl haben sich Milliarden auf die Fahne geschrieben. Mit ihrem neuen Album. Mit ihrer unverkennbaren Art. Mit der brennenden Leidenschaft, die diese Band umgibt.

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