Reingehört – THE MELLOW MUSIC https://www.themellowmusic.com Fri, 19 Apr 2019 17:30:37 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.1.1 https://i0.wp.com/themellowmusic.com/wp-content/uploads/2019/02/cropped-2-1.png?fit=32%2C32&ssl=1 Reingehört – THE MELLOW MUSIC https://www.themellowmusic.com 32 32 142828083 The Tallest Man On Earth & „I Love You. It’s a Fever Dream“: Das Gefühl von Geborgenheit https://www.themellowmusic.com/the-tallest-man-on-earth-i-love-you-its-a-fever-dream-review/ Fri, 19 Apr 2019 17:15:29 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=24979

Nach vier Jahren kehrt The Tallest Man On Earth mit einem neuen Album zurück. Erst einmal nur in digital, in ein paar Monaten dann auch physisch. Das ist heute nicht mehr unüblich, aus unterschiedlichen Gründen so gestaffelt. Und obwohl sich der Schwede einer modernen Umgangsform nähert, bleibt bei ihm musikalisch zum Glück vieles vertraut.

Ein Artikel von Anna Fliege –  The Tallest Man On Earth, das ist für mich ein Sommer vor vier Jahren. Der damalige Beginn eines heute abgeschlossenen Kapitels. Ein weinhaltiger Samstagnachmittag auf einer Festivalwiese im Norden des Landes. Das Gefühl von jugendlichem Leichtsinn und Freiheit, wie sie heute nicht mehr existieren. Damals hätte der Titel „I love you. It’s a fever dream“ nur all zu gut als Überschrift für die darauffolgenden Seiten gepasst. Seit diesem Nachmittag ist viel passiert – in meinem Leben ebenso wie in dem von Kristian Matsson.

Zeit, neue Geschichten zu schreiben. Die Tracks des ersten Albums seit 2015 mit neuen Erinnerungen zu verknüpfen. Eine Hoffnung ist hörbar, wie in „The Running Styles of New York“ und „All I Keep Is Now„. Musik, die sich anfühlt wie das angenehme Zwicken im Auge, verursacht durch optimistische Sonnenstrahlen, die nach schirr endlos grauen Tagen durch Wolkendecken und Köpfe brechen.

„Your buildings are like shadows & your eyes are deep. Here, all I can keep is now.“



The Tallest Man On Earth schenkt uns 2019 das, was viele seiner Kollegen gegen andere Auslegungen dieser Musikrichtung getauscht haben. Wem die alten Ben Howards & Bon Ivers fehlen, wer richtig gute Folkmusik mit raumeinnehmenden Gitarrensaiten sucht, kann sich in Mattsons neuem Album geborgen fühlen. Ja, Geborgenheit ist eine gute Beschreibung für das Gefühl, welches „I Love You. It’s A Fever Dream“ auslöst. Hier wird dem Hörer nicht zu viel abverlangt, höchstens sein Herz.

Dann ums Herz geht es hier ganz viel. Die Strapazen, die es auf sich nimmt und die kleinen Momente, die zu einem wilden Schlagen im Inneren des Brustkorbes führen. Kristian Mattson hat sich Gedanken gemacht, wer er ist, wer wir sind. Und wie wir uns selbst wahrnehmen. Seine Beobachtungen hat er in Energie umgewandelt und daraus 10 Songs geformt. Songs, deren Titel schon Bände sprechen, Lieder wie „I’ll Be A Sky„, „I Am A Stranger Now“ oder „Waiting For My Ghost„.


Making the album, I was thinking a lot about the lenses we view our lives through. For some reason, our worst tendencies seem to be carried out so loudly, while our best can go unnoticed. I’ve come to realize that some of the most powerful, most inspiring moments in my life have been the most subtle and that so often the thing that deserves my attention, is trying the least to get it.“ – Kristian Mattson


Er lässt uns nachdenken, seufzen, nach vorne schauen. The Tallest Man On Earth kommt nach seiner Albumpause mit einer Wucht zurück, die uns nicht von den Füßen reißt, uns stattdessen auffängt. Gitarrenriffs, die sich ins Mark bohren und zum Soundtrack des blauen Himmels werden. Mit Mattsons Stimme, die eindringlich und sentimental ist, die man nicht wieder vergisst, sobald sie einmal in den Gehörgang gelangt ist.

Wir haben uns weiterentwickelt, The Tallest Man On Earth und ich. Und so ist es fast humorvoll, wie sein neues Werk „I Love You. It’s A Fever Dream“ genau das einfängt. Eine Momentaufnahme, die sich einbrennt. Ein neuer Beginn für ein noch nicht abgeschlossenes Kapitel.



THE TALLEST MAN ON EARTH live

04.06.19: Hamburg -Laeiszhalle
05.06.19: Berlin – Tempodrom
07.06.19: Köln – E-Werk
08.06.19: München – Circus Krone


Autorin: Anna Fliege

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Giant Rooks & „Wild Stare“: Wo soll das noch hinführen? https://www.themellowmusic.com/giant-rooks-wild-stare-wo-soll-das-noch-hinfuehren/ Fri, 19 Apr 2019 08:58:45 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=25435

Während alle Welt auf ihr Debütalbum warten, veröffentlichen Giant Rooks lieber eine weitere EP. Auf diese Art und Weise bereiten sie ihre Liebhaber und Kritiker langsam aber sicher darauf vor, was kommen wird. „Wild Stare“ ist auf seine 14 Minuten aggregiert so stark, dass es gar nicht mehr braucht. 

Ein Artikel von Anna Fliege – In meiner Kindheit verband ich mit der Stadt Hamm immer den gläsernen Elefanten im Maximilianpark und ein Spaßbad, das ich öfters mit meinen Eltern besuchte. Später brannte sich die Stadt im Herzen Nordrhein-Westfalens in mein Gedächtnis ein, weil man dort als ICE-Reisender Richtung Berlin meist zu viel Zeit verbringen musste. Nun, so war das zumindest bis 2016. Bis als eine junge Band auftauchte, die mich von den Füßen riss.

Damals ging das Fünfergespann von Giant Rooks noch zur Schule, gewann im selben Jahr den renommierten popNRW-Preis als Newcomer und machte sich in den Gefilden der Musikszene schnell einen Namen, den man so schnell nicht wieder vergessen würde. 2017 folgte die erste Major-EP „New Estate“ und unzählige ausverkaufte Konzerte, die mit den Monaten in immer größer werdenden Venues stattfanden. Es geht bergauf und bis jetzt ist kein Ende in Sicht. Was viele Anfangs für einen kurzen Hype hielten, entwickelte sich schell zu einer sehr ernsthaften Sache.

Mit ihrer neuen EP „Wild Stare“ untermauern Giant Rooks ihre Einzigartigkeit.  Die nicht enden wollenden Loblieder auf Fred & Co. haben der jungen Band eine so große Portion Selbstbewusstsein mit an die Hand gegeben, dass diese auf dem neusten Werk nicht überhörbar ist. Da wirkt „New Estate“ fast ein bisschen schüchtern gegen. So ließ schon Titeltrack „Wild Stare“ bei seiner Veröffentlichung vor ein paar Monaten die Unterkiefer runterklappen. Ein Stück, dass sich selbst und den Hörer so euphorisiert, dass es niemals enden soll. Die Streamingzahlen sprechen Bände.

Und wo wir bei Selbstbewusstsein und dem daraus resultierenden Mut wären, springt Track 2 ins Auge. „Cara Decleares War“ heißt er und hat gerade einmal eine Länge von 37 Sekunden. Man hört eine junge Frau über kulturelle Ideale und die falsche Auffassung, man sei aufgrund von Reichtum, Schönheit und Schlankheit automatisch glücklich, sprechen. Ihre Verneinung dieser Annahme geht mit einem Schlag in Track 3 über. „100 mg“ strotzt nur so vor musikalischer Finesse, das ist so ein Track, der bei jedem Hören ein neues Detail offenbart.

„‚Cause we don’t say no wherever we go, whenever we doubt, we’re steady apart.“



Wer genau hinhört, hört die Anleihen an große Vorbilder der Band heraus. Mal mehr, mal weniger. „King Thinking“ spielt mit offenen Karten. Hier ist die Inspiration durch die britischen Indie-Helden alt-J nicht überhörbar. Spätestens in der Bridge, wenn die ungewöhnliche hohe Stimme mit den Xylophon-Klängen harmoniert, kann es niemand mehr abstreiten. Damit stehen sich Giant Rooks aber keinesfalls im Weg, nein, ganz im Gegenteil.

Mit „Went Right Down“ findet die EP ihr vorläufiges Ende. Clevere, aber mitsingbare Zeilen mit großen „ohohoho„-Teilen, die ihnen live um die Ohren fliegen werden, weil jeder Einzelne es noch ein bisschen lauter mitsingen will.

Mit „New Estate“ und „Wild Stare“ haben Giant Rooks ihre Bewerbung als spannendste Band erfolgreich abgegeben. Erst letztens unterhielt ich mich mit einer Freundin über die Hammer Band (was ein blödes Wortspiel) und fragte nicht nur sie, sondern auch mich und die Allgemeinheit: „Wenn die jetzt schon so gut und so erfolgreich sind, wie soll das erst werden, wenn sie ein ganzes Album veröffentlichen?“

Giant Rooks könnten national bald Bands wie AnnenMayKantereit den Rang ablaufen. Und so, wie sie gerade die Herzen der internationalen Fans höher schlagen lassen, in die Fußstapfen von Milky Chance treten. Eine deutsche Band, die schon vor der Veröffentlichung eines ersten Albums so viele Konzerte ausverkauft und in einer solch hohen Qualität abliefert, gab es in den letzten Jahren nur selten. Die einzige Kritik an „Wild Stare„? Es geht viel zu schnell vorbei.



GIANT ROOKS live

22.04.2019 Stuttgart, Im Wizemann
23.04.2019 Köln, Live Music Hall (Ausverkauft)
24.04.2019 Münster, Skaters Palace (Ausverkauft)
26.04.2019 CH-Zürich, Exil
27.04.2019 AT-Dornbirn, Dynamofestival
29.04.2019 München, Muffathalle (Ausverkauft)
12.05.2019 Bremen, Modernes (Ausverkauft)
13.05.2019 Hannover, Capitol (Ausverkauft)
14.05.2019 Leipzig, Täubchenthal (Ausverkauft)
15.05.2019 AT-Wien, Wuk (Ausverkauft)
17.05.2019 Hamburg, Grosse Freiheit 36 (Ausverkauft)
18.05.2019 Frankfurt am Main, Batschkapp (Ausverkauft)
19.05.2019 Berlin, Huxley’s Neue Welt (Ausverkauft)
21.05.2019 Berlin, Huxley’s Neue Welt (Zusatzshow)
22.05.2019 Köln, Live Music Hall (Ausverkauft)
27.05.2019 Heidelberg, halle02
28.05.2019 Würzburg, Posthalle
30.05.2019 Nürnberg, Z-Bau


Autorin: Anna Fliege / Photocredit: Frederike Wetzels

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Loyle Carner & „Not Waving, But Drowing“: Ein Album für die Bestenlisten https://www.themellowmusic.com/loyle-carner-not-waving-but-drowing-ein-album-fuer-die-bestenlisten/ Wed, 17 Apr 2019 17:25:43 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=24985

Im Herbst des letzten Jahres ging ein Raunen durch die Reihen der Musikkritiker – Loyle Carner meldete sich erstmals seit seinem Mercury Prize nominierten Debüt “Yesterday’s Gone“ zurück. Sein erstes musikalisches Lebenszeichen nach 18 Monaten benannt nach dem weltberühmten Koch Yotam Ottolenghi. Es wurde gejubelt – zurecht. Heute, sechs Monate und zwei weitere Mega-Vorabsingles später liegt mit „Not Waving, But Drowing“ ein Meisterwerk in Albumlänge vor uns.

Ein Artikel von Anna Fliege – Zuhören, Worte auf sich wirken lassen, sie verinnerlichen. Sich nicht ablenken lassen, fokusiert sein, nicht 3 1/2 Dinge gleichzeitig amateurhaft jonglierend meistern wollen – all das ist im Jahr 2019 gar nicht mehr so einfach. Fast schon eine Tugend, die wir uns fast schon abgewöhnt haben. Jetzt holt uns Loyle Carner zum Glück ab, wieder runter, wieder auf den Punkt.

Carner bedient etwas, das im aktuellen Zeitgeist in Vergessenheit zu geraten droht. Er erzählt nicht aufgesetzt, aber in höchster Qualitätsstufe Geschichten, die das Leben schreibt, nicht der gesellschaftliche Zwang. Concious Rap par excellence. „Not Waving, But Drowing“ ist ein Wohlfühlalbum, ohne dabei in Faulheit zu verfallen. Das hier ist mehr als nur Musik. Das ist Gefühl, das ist Wärme, das ist ein Safe Space.



Loyle Carner umhüllt den Hörer mit seinen sanften Zeilen, die nicht selten von harten Zeiten erzählen. Anekdoten, begleitet von zarten Tastenanschlägen und jazzy Tunes. Authentizität wird zur Vokabel, die man immer wieder in den Raum werfen möchte – doch stumm bleibt, um Loyle, den Geschichtenerzähler, nicht zu unterbrechen. Außer vielleicht, um ihn vorzuschlagen, seine Worte auf Papier zu drucken. Um sie in den Händen halten zu können, sie nachzulesen, sie zu verewigen.

Nun wäre das Album an sich schon eines, das man am Ende des Jahres in Bestenlisten findet, das Recordstores stolz ausstellen oder mit Stickern versehen werden. Aber was ihm die metaphorische Kirsche aufsetzt, sind die sorgsam gewählten Features. Hier tauchen Namen wie Jorja Smith, Jordan Rakei, Sampha und Tom Misch auf, eine Liste der neuen Königsklasse, eine Zusammenkunft von jungen Genies. Die fügen sich so nahtlos in die Wahrheiten und Geständnisse von Carner ein, dass man glauben könnte, es müsse so, als gäbe es gar keine andere Möglichkeit. Da kann einem das Sampha-Feature „Desoleil“ schon einmal ungeniert Tränen in die Augen treiben.



Aber da ist noch etwas anderes, dass „Not Waving, But Drowning“ zu einem Ausnahmewerk macht. Es sind die kleinen Skits, die mit Audioaufnahmen untermalten Interlude-Segmente, die die Stimmung beeinflussen. Als würde man selbst daneben sitzen und das Album vorgespielt bekommen – im Auto, im Studio, bei Carner zuhause. Das Album hat etwas so Intimes, dass man es zuerst verleugnen möchte, um dann doch völlig davon eingenommen zu werden.

Kaum zu glauben, dass Loyle Carner erst 24 Jahre alt ist. So alt wie ich, sogar noch ein paar Monate jünger. Und dabei klingt er so viel reifer, weiser, abgeklärter als ich. Wie er über seine Kindheit, seine emotionale Familiengeschichte und die verrückte multikulturelle Welt seiner Heimat Großbritannien erzählt. Der junge Mann aus dem Süden Londons ist auf allen Ebenen wahnsinnig beeindruckend. Es wird warm im Herz, wenn klar wird, wie er die Klammer des Albums mit einer Liebeserklärung an seine Mutter Jean öffnet und dann den letzten Track hört. Die selbe Melodie wie zu Beginn, doch jetzt wird nicht über Jean Coyle-Larner gesprochen, jetzt spricht sie selbst. Eine Liebeserklärung an ihren Sohn. Wie sie erzählt, ihre Worte auf die selbe Art wie ihr Kind so weise und gefühlvoll wählt.

Not Waving, But Drowing“ ist für die aufmerksamen Stunden im Leben. Und für die einsamen sicherlich auch. Wenn er an einer Stelle „trust me, trust me“ rappt, dann tut man es auch.



LOYLE CARNER live

16.05.19: Cassiopeia – Berlin (ausverkauft)
21.06.19: Modular Festival – Augsburg
08.08.19: Haldern Pop Festival – Haldern
17.08.19: Dockville – Hamburg


Autorin: Anna Fliege

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Darjeeling & „Hokus Pokus“: Für die Neugierigen https://www.themellowmusic.com/darjeeling-hokus-pokus-ein-album-fuer-die-neugierigen/ Thu, 11 Apr 2019 12:00:13 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=25030

*Räuspern* Meine Damen und Herren, verehrtes Publikum! Nehmen Sie Platz und lassen Sie sich verzaubern. Hierbei handelt es sich um keine billigen Kartentricks oder doppelten Boden! Vergessen Sie Hasen in Hüten, Rauch und Spiegel und zersägte Jungfrauen. Das hier ist echte Magie. Manage frei für Darjeeling und „Hokus Pokus“.

Ein Artikel von Anna Fliege – Für einen Wortspiel & Metaphern-Fan wie mich bietet der Titel von „Hokus Pokus“ allerhand Steilvorlagen und stilistische Möglichkeiten. Für einen Musik-Fan wie mich bietet der Inhalt von „Hokus Pokus“ allerhand Herzklopfmomente und Überraschungen.

Das zweite Album der Wuppertaler Band Darjeeling ist kein gewöhnliches zweites Album. Was nicht sonderlich verwundert, denn schon ihr Debüt „Life Is An Intriguing Mosaïque Of Revealing Secrets“ tanzte aus Reihen und auf den Köpfen der Alteingesessenen herum. Und auch jetzt, zwei Jahre später, geht dieser Tanz weiter. Weil man gar nicht anders kann, als gleich zu Beginn schon mitzuwippen und Minute für Minute mehr und mehr mitgerissen zu werden von der Energie, die „Hokus Pokus“ aufbringt. „Wir versuchen, Musik für alle zu machen“ sagt Gitarrist und Sänger Jan in unserem Interview zwei Wochen vor dem Release. Und das gelingt ihnen auf ihre eigene Art und Weise – keine Massenware, sondern liebevolle Handarbeit.

Die Detailverliebtheit bekommt man als Hörer schon mit den ersten Klängen vom Opener „Four Days“ liebevoll um die Ohren gehauen. Songs, die ganze Räume einnehmen, die ein oben und unten, ein links und ein rechts und zwei weitere Seiten haben. Die einen umgeben, statt nur eindimensional aus den Lautsprechern zu schallen.



Und ehe man sich so richtig schön mit „Shiver„, einen meiner Lieblingssongs, eingegroovt hat, kommt die erste große Überraschung zum Vorschein. Das 1-minütige „Nosferatu“ ist ein Interlude. Aber nicht diese modernen Sound-Frickel-Interludes, wie sie grad jeder feiert, sondern eine Geschichte. Eine ohne Worte zwar, aber erzählen tut sie trotzdem, lässt dem Hörer ein Phantasiefenster offen und könnte so 1 zu 1 in ein Hörspiel eingebaut werden. „Interludes sind bei uns der Leim, der das Ganze zusammenklebt“ heißt es in unserem Interview auf meine Frage, ob diese ein Teil des Darjeeling-Storytellings seien.

Zu Beginn von „Tangled Arms“ schaue ich kurz irritiert auf die Trackbeschreibung, beinahe könnte man glauben, man hätte ich in einen Get Well Soon-Song verirrt, so schön ist zumindest im ersten Teil die Crooner-Stimme in meinem Ohr. Im zweiten Teil bricht die Stimmung: Überraschung, Unerwartetes, Sensation! Mit diesen drei Wörtern könnte man das ganze Album-Gebilde bestens beschreiben. „Animal„, noch so ein Lieblingssong, klingt schon wieder ganz anders. Hier verändern sich nicht nur Melodien, sondern ganze Stimmungsbilder.

Man tut sich schwer, „Hokus Pokus“ und Darjeeling in eine Schublade zu stecken. Zwar passen sie in viele rein, doch die Entscheidung fühlt sich niemals richtig an. Würde mich jemand fragen, was für Musik die Wuppertaler machen, ich würde antworten: „Hör einfach rein.“ Hier ein bisschen Krautrock, da eine Prise Psychedelic, zwei Esslöffel Indie und ein halbes Kilo Einzigartigkeit.

Und so erweckt die Band Interesse, macht neugierig. Erfährt man erst einmal, welch kreativer Geist dahintersteckt, wächst die Neugierde nur noch weiter. Wer kann schon behaupten, ein Interlude (ein selten gewordenes Stilmittel) mit einer historischen Kirchenorgel (ein noch selteneres Stilmittel in unseren musikalischen Breitengraden) aufgenommen zu haben? Darjeeling natürlich. Ganz ohne Houdini, Copperfield und Albus Dumbledore.



DARJEELING live

11.04.2019: Oberhausen – Druckluft w/ Kala Brisella
12.04.2019: Köln – Blue Shell
13.04.2019: Wuppertal – LOCH
27.05.2019: Lüneburg – Café Klatsch
28.05.2019: Kiel – Hansa48
29.05.2019: Bremen – Karton
30.05.2019: Jena – Café Wagner
31.05.2019: Berlin – Monarch
04.10.2019: Werne – Flöz – K
06.10.2019: Offenbach – Hafen2
07.10.2019: Reutlingen – Franz.K
08.10.2019: München – Milla
09.10.2019: CZ – Prague – Underdog’s
10.10.2019: CZ – Brno – Kabines Múz
11.10.2019: SK – Banská Bystrica – Záhrada
12.10.2019: SK – Bratislava – tba
13.10.2019: AT – Graz – Sub
14.10.2019: AT – Wien – Kramladen
17.10.2019: Göttingen – Dots
18.10.2019: Nürnberg – Club Stereo


Autorin: Anna Fliege / Photocredit: Liza Arbeiter

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Mine & „Klebstoff“: Das lyrische Pflaster https://www.themellowmusic.com/mine-klebstoff-das-lyrische-pflaster/ Wed, 10 Apr 2019 13:00:21 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=24796

Das Land der Dichter und Denker – nun, mit einem Blick auf die aktuellen Chartstürmer kommen Zweifel auf, ob Deutschland diesen glamourösen Titel im Jahr 2019 noch immer halten kann (abgesehen vom ‚dicht‘ vielleicht). Zum Glück gibt es in diesem Chaos Patronen & Patroninnen wie Mine. „Klebstoff“ fungiert als sprachbegabtes Schutzschild.

Ein Artikel von Anna FliegeMine macht Kunst für’s Herz. Aber nicht auf so eine lapidare Art und Weise, nein. Ihre Worte zwängen sich durch den Brustkorb und setzen sich am Herzmuskel fest, machen es schwerer und leichter zur selben Zeit. Und dann verharrt es da für eine undefinierbare Weile. Es sticht und schmerzt, es wärmt und heilt, nie zu viel und nie zu wenig. Und wenn einmal die Worte fehlen, dann ist stets eine ihrer intelligenten, von Metaphern getränkten Zeilen in greifbarer Nähe, um Unbegreifliches zu begreifen.

Und Mines Album „Klebstoff“ ist kein Sekundenkleber, mit dem man Zerbrochenes wieder provisorisch zusammenflicken kann. Nichts, dass uns nur wenige Wimpernschläge Zeit lässt, langfristige Entscheidungen zu treffen, keine kurzweilige Angelegenheit. Nicht mit seinem Gesamtwerk und nicht mit seinem Titel. Mine selbst beschreibt es so:

„Ich finde das Bild interessant, dass jeder von uns mit Klebstoff umhüllt durch das Leben geht und alle Dinge, mit denen man in Kontakt kommt – positiv oder negativ – an einem kleben bleiben. Auch, wenn man das gar nicht will. Auch, wenn man schon längst woanders ist.“



Klebstoff“ handelt von Veränderungen und Realisationen, spricht aus, was man lange nicht aussprechen wollte. Und das ist was ein Mine Album so besonders macht die Mischung aus Ernsthaftigkeit, aus Verletzbarkeit und einer Art von Befreitheit. Das finden wir auf Mines drittem Soloalbum so stark wie noch nie zuvor. Manche mögen es intellektuellen Pop schimpfen, andere als lyrisches Rettung feiern – sagen wir einfach, es ist etwas dazwischen. Für jeden so, wie er es gerade braucht.

„Was ich mag, fass ich an, was ich fasse, leidet dran.
Klebstoff an meiner Hand, ich wünschte du wärst mir unbekannt.
Doch jetzt nehme ich dich mit, ob du es willst oder nicht.“

Es treffen ungewöhnliche Wortgebilde auf musikalische Arrangements, wie man sie einfach nicht erwartet. Hier ein bisschen Orchester, da ein bisschen minimalistisch im Einklang mit dicken Beats. Und wiederum an der anderen Stelle ein Dudelsack oder etwas, was zumindest danach klingt. Man fühlt sich verstanden oder fängt erst beim Hören an zu verstehen, das sind Songs wie der Titelgeber „Klebstoff“ oder „Vater„. Man tanzt zu „90 Grad„, „Spiegelbild“ mit AB Syndrom oder „SW„, um bei „Nichts“ schwer aufatmen zu müssen.

Da wäre der Song „Einfach So“ mit Giulia Becker (NEO MAGAZIN ROYALE), dessen Zeilen man sich auf zahllose T-Shirts und Poster drucken, die Line „Meine Schenkel berühren sich häufiger als deine Eltern“ am liebsten tätowieren lassen möchte. Ein Song, der auf so amüsante Weise ernst und wichtig ist, dass man das beim Mitsingen fast vergisst. „Du kommst nicht vorbei“ konkurriert aber schon wenig später um den Titel des Lieblingssongs.

Wer Fan oder sogar Ermöglicher des fabelhaften Crowdfunding-Projekts des Mine-Orchesterkonzertes war, wird mit den letzten Songs des Albums bereits bekannt sein. „Guter Gegner“ mit dem Grossstadtgeflüster-Trio und „Schwer bekömmlich“ mit Bartek (Die Orsons) und Haller, das im Studioformat noch um DISSY ergänzt wird. Hier treffen Streicher auf die zurückhaltende Gastgeberin, die lieber ihren Gästen die ersten Worte überlässt.

Klebstoff“ ist grandios! Und dabei sind es die kleinen Details, die beim ersten Durchhören vielleicht gar nicht auffallen würden. Die man erst beim zweiten oder beim 20. Mal wahrnimmt oder nie oder erst in ein paar Jahren, Das sind Wortspiele und Momente und Gefühle, die Mine so gut verpackt, dass sie nicht zu offensichtlich sind. Um dann zwei Zeilen weiter mit eine emotionalen Entblößung zu spielen.

Mine setzt ihre persönliche Messlatte mit jedem Album, jeder Veröffentlichung um ein vielfaches in die Höhe, um sich dann wie selbstverständlich zu übertreffen. Ich möchte meinen Hut ziehen, mich verbeugen, einen Knicks machen.



MINE live

02.05.2019 Köln – c/o Pop
03.05.2019 Mannheim – Alte Feuerwache
04.05.2019 Wiesbaden – Schlachthof
05.05.2019 Hannover – Musikzentrum
07.05.2019 Konstanz – Kulturladen
08.05.2019 Stuttgart – Club Cann
09.05.2019 Leipzig – Leipzig
10.05.2019 Berlin – Huxley’s Neue Welt (hochverlegt)
11.05.2019 Hamburg – Mojo
15.05.2019 Wien – Porgy Bess
16.05.2019 Nürnberg – Hirsch
17.05.2019 München – Ampere (ausverkauft)
18.05.2019 Zürich – Dynamo


Autorin: Anna Fliege / Photocredit: Simon Hegenberg

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Der Soundtrack für den kommenden Sommer mit der essenziellen Aussage von Gosto „What Do You Mean ´You Need A Colour TV´“ https://www.themellowmusic.com/der-soundtrack-fuer-den-kommenden-sommer-mit-der-essenziellen-aussage-von-gosto-what-do-you-mean-you-need-a-colour-tv/ Sun, 07 Apr 2019 08:40:37 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=24904

Die Niederlande sind ja für entspannte Dinge bekannt. Nun gesellt sich Gosto mit seinem neuen Album „What Do You Mean ´You Need A Colour TV´“ dazu. Roel Vermeer ist sich und Gosot treu geblieben, so ist es wenig erstaunlich, dass in Vermeer genauso wie Gosto, wie Gosto in Roel Vermeer steckt.


Ein Artikel von Nina Paul – Nun hat der Niederländer mit seinem zweiten Album nachgelegt. Es ist mal etwas melancholischer, dann aber auch wieder voller Lebensfreude. So produzierte er sein Erstlingswerk „Memory Ivy“ noch komplett selbst, hat er sich für „What Do You Mean ´You Need A Colour TV´“ mit Will Knox und Tim van Berkenstijn die passende Hilfe in das Studio in Amsterdam geholt.

Herausgekommen sind 12 Songs, die beim ersten Hören einen sommerlichen und entspannten Sound haben. Verspielt mit Gitarre, Bass, Synthesizer und Schlagzeug wird so im Spiel mit der Stimme Gostos eine Stimmung geschafft, die einen vollen und warmen Klang haben.

Ein Track mit einer wunderschönen Metapher für einen Beziehungssong ist „Cigarette“.

Hold me close like a cigarette, between your fingertips, burn me down slow

 
Überhaupt finden sich auf „What Do You Mean ´You Need A Colour TV´“ Tracks über Beziehung, Liebe und das Leben wieder. Dieses ist aber alles so verpackt, dass das positive Gefühle in der Musik immer irgendwie überwiegt und das gesamte Album immer diesen Hauch verbreitet, dass man es am Liebsten in einem offenen Cabrio oder in einem alten Bulli deutscher Marke im Sommer bei offenen Fenster und warmen Wind um die Ohren hören möchte.

So hat man stetig das „It feels good“ Gefühl beim Hören. Der Song „Prisoner“ bringt es so kurz und knapp auf den Punkt. Lockerer Beat, aber der Hauch von Melancholie im Text mitschwebend.

Einen eher Uptempo Beat lastigen Song erlebt man mit „The Other Way“. Auf den ersten Ton direkt mit fröhlicher Ausstrahlung, lädt dieser direkt zur Leichtigkeit und zum Tanzen ein.

Gosto und seine Frage(?) „What Do You Mean ´You Need A Colour TV´“ spielt so in den 12 Stücken immer wieder um das Finden von der Liebe, das Leben und eben den Verlust dieser. Das dies nicht immer das Ende sein muss, beweist der Niederländer eben durch seine positive Ausstrahlung und dem stetigen sommerlichen Touch.

Die kommenden warmen Nächte sind gerettet, mit einem kühlenden Getränk in der Hand, dem zeitlosen Gefühl während einer Sommernacht und dem entspannten Sound von Gosto und „What Do You Mean ´You Need A Colour TV´“.


Foto: Jetmir Idrizi

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Cassia & „Replica“: Keine Zeit für schlechte Laune https://www.themellowmusic.com/cassia-replica-keine-zeit-fuer-schlechte-laune/ Sun, 07 Apr 2019 05:15:04 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=24803

Wenn „Small Spaces“ beginnt, versetzt es uns unweigerlich in eine gedankliche Strandkulisse und man mag gar nicht so recht glauben, dass Cassia aus dem verregneten Umkreis von Manchester stammen. Bis Frontmann Rob Ellis zu singen beginnt und sein astreiner britischer Akzent mit unserem Südsee-Traum kollidiert. Auf „Replica“ treffen UK-Indiepop und Weltmusik-Sphären Song für Song aufeinander.

Ein Artikel von Anna Fliege – Augen zu und tanzen. So, als würde niemand zuschauen, als gäbe es die verdrehte Welt vor den geschlossenen Augenlidern nicht. „Replica“ funktioniert genau so. Die Sounds sind ausgefeilt und neuartig, die Texte unbeschwert. Die Balance zwischen UK- und Welt-Musik ist dabei harmonisch, wenn auch nicht immer gleichmäßig stark vertreten. Während „Small Spaces“ und „Movers & Shapers“ klar Letzteres abfeiern, klingen „Sink„, „Loosen Up“ oder „Replica“ dazwischen doch wieder back to the roots.



Und das ist der Grund, wieso Cassia funktionieren. Nicht nur für eine Filterblase, sondern gleich für ganz viele. Mancher würde es jetzt „massentauglich“ schimpfen, aber dafür sind die Briten dann doch noch zu ungewöhnlich. Und würde man an dieser Stelle gerne einen Vergleich zu musikalischen Kollegen des Trios schlagen, ich würde plump in den Raum werfen: Cassia klingen wie Catfish and the Bottlemen im Urlaub.

Zumindest könnte der Band eine ähnliche Erfolgsgeschichte blühen. Nicht umsonst wurde „100 Times Over“ von BBC Music Introducing zu einem der besten Songs der Dekade gekürt – ein Ritterschlag für einen britischen Newcomer wie Cassia. „Replica“ zumindest könnte kein besserer Start für diese Reise sein. Der bunte Blumenstrauß, der für jeden etwas bereit hält – so ist mein Lieblingssong zum Beispiel „Out of Her Mind“ – und uns auf die wärmeren Tage des Jahres bestens vorbereitet.


13.04. Osnabrück – Popsalon Festival
07.06. – 10.06. Mainz – Open Ohr Festival
02.08. – 04.08. Bad Windsheim – Weinturm
01.08. – 03.08. Elend – Rocken am Brocken Festival
15.08. – 17.08. Dornstadt – Obstwiesenfestival
18.08. Erlangen – Melted Ice Cream Open Air

12.09. Hamburg – Molotow
13.09. Berlin – Privatclub
14.09. Nürnberg – Club Stereo
15.09. München – Ampere
16.09. Köln – Studio 672
17.09. Bremen – Tower


Autorin: Anna Fliege / Photocredit: Cassia

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Alli Neumann & „Monster“: Frech und wild und wunderbar https://www.themellowmusic.com/alli-neumann-monster-frech-und-wild-und-wunderbar/ Thu, 28 Mar 2019 13:43:28 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=24477

Wer an weibliche Superheldinnen der Musikbranche denkt, dem fallen illustre Namen wie Beyoncé, Cardi B oder Ariana Grande ein – doch selten bis nie Künstlerinnen aus Deutschland. Räuber und Gangster, Gauner und Verbrecher, nehmt euch in Acht: Alli Neumann ist da.

Mit ihrer ersten EP „Hohes Fieber“ traf die junge Wahl-Hamburgerin bereits im letzten Herbst mitten in die Herzen der Kritiker, mit ihrer zweiten EP „Monster“ beißt sie sich dort weiter fest. Ihr Name findet sich in diesem Jahr in (fast) jedem Line-Up der kleinen und großen Festivals wieder, es scheint so, als sei die Ausrede „es gibt nunmal keine guten deutschen Sängerinnen“ 2019 endlich passé.

Aber mal im Ernst, ich würde Alli auch ohne groß darüber zu debattieren buchen, hätte ich ein Festival. Oder irgendetwas anderes. Mit „Monster“ verdoppelt sich ihre Diskografie, fünf weitere Songs voller Finesse, fernab von dem Radio-Gedudel, das wir tagtäglich ertragen müssen. Mit einem Potential, dass zu diesem Zeitpunkt grenzenlos scheint.

“Es geht schon wieder besser, Babe, nur nicht mit dir.“

Ein wildes Zusammentreffen von Achtziger-Einflüssen, Artikulierung wie einst Falco (dessen Produzent Franz Plasa hat sich die Sängerin passenderweise ins Boot geholt), eine tiefe, raue Stimme, wie sie Nena zu ihren besseren Zeiten einmal hatte und ein Gitarrenriff-Groove, den man heutzutage höchstens bei Bilderbuch findet – aber eben gar nicht verstaubt, abgekupfert oder obsolet. Nein, nein, das hier ist topaktuell. Oder uns sogar allen einen Schritt voraus.

Als Astrid Lindgren in einem ihrer Pippi Langstrumpf-Romane den Satz „Sei frech und wild und wunderbar“ schrieb, muss sie dabei eine Art Zukunftsvision gehabt haben. Denn wenn man Alli und ihre Musik beschreiben müsste, es würde auf diesen Satz hinauslaufen. Immer wieder Zeilen, bei denen sich manch prüder Mensch die Hand affektiert vor den Mund halten würde, um sein Entsetzen auszudrücken

Eine 5 Track-EP mit so vielen Nuancen, so vielen Farben und Formen, dass man sich fragt, wie wohl erst ein ganzes Alli Neumann-Album klingen würde. Mit fancy Ohrwurm-Tracks wie „Monster“ und „Schöne und das Biest„, einer dramatisch-melancholischen Power-Ballade wie „Orchideen„, dem koketten „Was ist denn los“ und „Maybe Baby„, dessen Zeilen man an Häuserwände schreiben will! Wer eine Trennungshymne braucht, ist hier genau richtig.

“Könn’ wir bitte wieder spielen? Ich lass dich auch nicht verlieren”



Autorin: Anna Fliege

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White Denim & „Side Effects“: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt https://www.themellowmusic.com/white-denim-side-effects-wer-nicht-wagt-der-nicht-gewinnt/ Wed, 27 Mar 2019 16:20:44 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=24427

Bei einer Band, die seit 2005 zusammen Musik macht und nun ihr neuntes Studioalbum veröffentlicht, könnte man bei dem Titel „Side Effects“ via City Slang (Rough Trade) schnell denken, dass die Musiker müde sind und aus einer gealterten Perspektive über die wilden Zeiten des Rock’n’Rolls und deren Nachwirkungen wehklagen. Das Gegenteil ist der Fall: Nur ein halbes Jahr nach der letzten Veröffentlichung bringen die US-Amerikaner ein Album raus, das vor ungebändigter Energie und ungeahnten Experimenten strotzt. Ob sie jemals schlafen?


Ein Artikel von Maren Schüller – Wenn auch auf den älteren Alben oft der fetzige Sound einer Rockband à la The Black Keys oder Royal Blood im Vordergrund stand, legen White Denim jetzt vor allem Wert auf viele Kleinigkeiten, die dem Album den letzten Schliff und somit eine Ausgefeiltheit verleihen, die bei vielen anderen Bands dieses Genres fehlt. Bei „Side Effects“ geht es eben nicht darum, klassische Intro-Vers-Refrain-Rocksongs zu schreiben. Es geht um viel mehr, um eigentlich alles, das man nicht als langweilig bezeichnen kann. Denn White Denim bieten vieles, aber Eintönigkeit steht definitiv nicht auf der Karte.

Kein Einheitsbrei

Schon beim zweiten Song „Hallelujah Strike Gold“ kann man darüber staunen, dass die Band sich durch abwechslungsreiche Riffs einer Formlosigkeit anlehnt, die vor allem in den Sechzigern und Siebzigern bei Psychedelic Rockbands beliebt war. White Denim lassen bewusst viel Platz. Für alles, was ihnen so einfällt. Ob das nun der Einsatz von witzigen Samples, überraschenden Tempowechseln oder das Sammeln und Aufeinanderlegen von abstrakten und alltäglichen Klängen ist, ist völlig egal – alles kann, nichts muss.
Und zwischen all dem großen, lauten Konzept-Chaos findet man das etwas zurückhaltendere Herzstück des Albums: „NY Money“. Knappe sieben Minuten lang ist das Stück, das auf den ersten Blick wirkt wie ein unauffälliger Indie-Song, sich dann aber zu einer melodisch-spacigen Odyssee entwickelt. White Denim lassen Raum und vor allem Zeit für träumerische Gitarreneinsätze, die dem Stück eine atmosphärische Tiefe verleihen. Es ist der Klang von großer Vorfreude, bei der man sich in Gedanken verliert und Träume vor dem inneren Auge vorbeiziehen.

Hinsetzen und Luft holen ist nicht drin

Im Gegensatz zum letztjährigen Album „Performance“ – das sich genau dieser Geschichte eines „Performers“ auf der Bühne widmet – dokumentiert „Side Effects“ das Leben abseits der Bühne. Trotz der Träumerei und Experimentierfreude verlieren White Denim nie den schnellen Rhythmus, für den sie bekannt sind. In knapp 30 Minuten gibt es konsequent einfach mal keine Verschnaufpause. Es ist das Album einer enorm energiegeladenen Band, die aus allen Nähten platzt und wer noch nicht mit ihr vertraut sein sollte, für den ist dieses neue Album ein hervorragender Einstieg: eine Platte, die jeden Aggregatzustand von White Denim zelebriert und die Bühne für ein brandneues Kapitel eröffnet.

Nach ausführlicher Inspektion des Albums lässt sich sagen, dass sein Konsum für den Hörer bedenkenlos ist. Die Nebenwirkungen beschränken sich lediglich auf Begeisterung und einem Drang nach mehr Musik von White Denim.


Foto: Jo Bongard

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Seed to Tree & „Proportions“: Traumwelten erobern https://www.themellowmusic.com/seed-to-tree-proportions-traumwelten-erobern/ Tue, 26 Mar 2019 20:17:19 +0000 https://www.themellowmusic.com/?p=24414

Luxemburg zählt nicht nur bei Stadt-Land-Fluss in gleich zwei aufeinanderfolgende Kategorien, sondern auch zu den Geheimtipps für Musikenthusiasten. Unter den rund 600.000 Einwohnern befinden sich Georges, Benjamin, Benni und Michi – kurzum Seed to Tree. Mit ihrem zweiten Album „Proportions“ ziehen sie uns in träumerische Indie-Sphären. 

Ein Artikel von Anna Fliege – Frontmann Georges klingt nicht überschwänglich kitschig-klebrig happy und doch strahlen seine Worte und die darunterliegenden Melodien glücklich, zufrieden. Im Einklang mit sich selbst. Es ist diese gradlinige Zurückhaltung, die „Proportions“ so spannend macht. Selbst in Momenten, wenn Seed to Tree ausbrechen, keine Gefangenen ihrer eigenen Grenzen sein wollen, wird man als aufmerksamer Zuhörer nicht erdrückt von Klängen und Soundwänden.

Und auch, wenn der Nachfolger vom 2015er-Debüt „Wandering“ eine harmonische Einheit bildet, sticht doch der ein oder andere Track besonders hervor, der nicht ungenannt bleiben sollte.

Within Me“ landet noch vor dem ersten Refrain auf der gedanklichen ‚Muss ich (nochmal) live erleben‚-Wunschliste. So vielversprechend sind die elektrischen Einflüsse, der zitternde Bass, die Foals-esque Dramaturgielinie auf 4:40 Minuten. Schon im letzten Sommer, als ich die sympathische Vierertruppe zu einem mit etlichen Lachpausen gefülltem Interview traf, sprach Drummer Michi von eben diesem Song, nannte ihn seinen Live-Liebling.

Song für Song treiben wir auf Wellen von verträumten, unendlich scheinenden Gitarrenriffs, hier und da begleitet von Synthie-Häppchen. „Lack of Proportion„, ja schon fast ein emotionaler Sog. Mit einer Intelligenz, Soundfragmente zu einem Ganzen zusammenzuformen, die man es von den großen Meistern namens Ben Howard oder Bon Iver kennt. Seed to Tree dürfen sich gerne einreihen, erlangen durch ihren Underdog-Status doch dennoch eine Kontingent an Freiheit, das dem Album bei seiner Leichtigkeit unterstützt.

Weil alle guten Dinge drei sind und der vorletzte Song des Albums unbedingt namentlich erwähnt werden muss, ein paar Worte zu „All Night Long„: Hier ergreift der Sound eindeutig die Oberhand, die Vocals versinken auf eine Art und Weise darin, dass man gleich hinterher springen möchte.

Wer nach dem großen Tam Tam gesucht haben sollte, hat ihn wohlmöglich zum Schluss gefunden. „What Did You Mean By That“ reißt sich von der träumerischen Stimmung los und uns auf den Boden der Realität zurück. Ein Feuerwerk aus dem kompletten Seed to Tree-Repertoire. Schluss mit Zögerlichkeit.

Wer bei „Proportions“ keine extreme Weiterentwicklung der sympathischen Bande raushören kann, hat nie zu „Until It Gets Better„, einer der alten Dauerbrenner, getanzt. Seed to Tree klingen vier Jahre später weniger poppig, dafür um ein vielfaches tiefgründiger. Ein Album wie gemacht für lange Spaziergänge am Strand, für ausgiebige Tauchgänge in der heimischen Badewanne, für nächtliche Autobahnstunden. Eins zum Genießen. Mit der Prise Neugier, von welchen Orten, Menschen und Anekdoten die Texte handeln. Und was die Jungs live daraus zaubern werden.



SEED TO TREE live

15.04 – Mainz – Schick & Schön
16.04 – Dortmund – Fzw
17.04 – Köln – Stereo Wonderland
18.04 – Berlin – Monarch
19.04 – Marburg – Cafe Q
20.04 – Friesoythe – Holla Die Waldfee
21.04 – Kiel – Fahrradkino Kombinat
22.04 – Hamburg – Astrastube
23.04 – Oldenburg -Umbaubar


Autorin: Anna Fliege / Photocredit: Seed to Tree

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